Deutschland arbeitet mit keinem anderen Land so eng zusammen wie mit Frankreich, wenn es darum geht, sich für ein starkes und vereintes Europa zu engagieren.
Von Jonathan Palm, Gastbeitrag der Universität Tübingen
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Doch vor nicht allzu langer Zeit waren die Staats-Freunde noch erbitterte Feinde. Bereits 1870 bekämpften sich beide Nachbarnationen. 1914 nahm ein deutsch-französischer Krieg erstmals weltweite Ausmaße an. Im Zweiten Weltkrieg besetzten die Nationalsozialisten Frankreich fünf Jahre lang, ehe Deutschland am 8. Mai 1945 kapitulierte. In den Folgejahren näherten sich die Bundesrepublik und Frankreich aber wieder an. Beide Nationen waren Gründungsmitglieder der Montanunion 1951 sowie der europäischen Wirtschafts- und Atomgemeinschaft 1957, die den Grundstein für die heutige Europäische Union legte. Zur deutsch-französischen Aussöhnung kam es dann 1963 mit dem Élysée-Vertrag.
Der Vertrag sieht vor allem im Bereich Jugend und Erziehung eine enge Zusammenarbeit vor. Die Umsetzung sollte unter anderem in Form von Schüler-, Studenten- und Sportaustauschen erfolgen. Das dafür verantwortliche Deutsch-Französische Jugendwerk hat seit 1963 neun Millionen Deutschen und Franzosen in rund 376.000 Austauschprogrammen Begegnungen ermöglicht. Das Jugendwerk ist unter anderem zentraler Partner der Deutschen Sportjugend (DSJ). Die DSJ vermittelt Kontakte nach Frankreich und berät bei der Organisation interkultureller Austauschprogramme. Viele Sportbegegnungen finden dabei in Breitensportvereinen statt. Die Vereine werden auf ihrem Weg zum Austausch von der DSJ beraten und finanziell gefördert. Der Zeitraum eines Austauschs kann zwischen fünf und zehn Tagen betragen. Die meisten Vereine veranstalten einen Austausch im Jahr, jeweils abwechselnd als Gast in Frankreich und als Gastgeber in Deutschland. „Für viele Vereine ist das ein Bestandteil des Jahresprogramms“, weiß Ferdinand Rissom, Ressortleiter für Internationale Austauschzusammenarbeit sowie Europa- und Entwicklungszusammenarbeit der DSJ.
Sport wird als Aufhänger genutzt
Gemeinsame Trainingseinheiten oder Spiele stehen bei einem Sportaustausch allerdings nicht so sehr im Mittelpunkt, wie man annehmen würde, stellt Rissom klar. Der Sport als gemeinsames Interesse werde nur als Aufhänger genutzt, wodurch Jugendliche Hemmungen abbauen und leichter in Kontakt kommen sollen. Ein umfangreiches Rahmenprogramm ermöglicht dabei Einblicke in das Leben des Austauschpartners. Etwa Einblicke in den Alltag, die Einstellungen zu verschiedenen Bereichen des Lebens, aber auch in Trainingsmethoden der jeweiligen Sportart und der dazugehörigen Rolle des Trainers. „Vereine veranstalten so einen Austausch in der Regel nicht, um viel Sport zu treiben, sondern um den Jugendlichen eine Erfahrung im interkulturellen Bereich zu ermöglichen“, erklärt Rissom. Dadurch soll bei den Jugendlichen Interesse an einem anderen Land wie Frankreich und der dazugehörigen Kultur sowie der Sprache gefördert werden. Sprachkenntnisse gelten dabei nicht als Voraussetzung, um an einem Austausch mitmachen zu dürfen. Was allerdings deutlich werde, ist, welche Bedeutung Kenntnisse einer Sprache haben können. „Man kann sich viel intensiver mit Sachen auseinandersetzen. Man kann nachfragen, man kann aktiv jemanden ansprechen“, beschreibt Rissom seinen Eindruck. Dadurch könne man mehr über das Land, in dem man sich befindet, in Erfahrung bringen.
Mehr als nur ein Sportaustausch
Obgleich Sportbegegnungen zwischen deutschen und französischen Jugendlichen ursprünglich zur Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich beitragen sollten, erfüllen diese heute einen viel weitreichenderen Zweck. „Man muss Deutschland und Frankreich nicht mehr miteinander versöhnen, die Feindschaft prägt nicht mehr den Alltag. Insofern ist eine Versöhnungsarbeit gerade unter Jugendlichen nicht mehr nötig“, erklärt Rissom. Mittlerweile steht die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen im Vordergrund. Sie sollen bei einem deutsch-französischen Austausch interkulturelle Einblicke und Erfahrungen sammeln und so einen europäischen Gedanken erleben und verinnerlichen. „Starke Persönlichkeiten mit europäischem Gedankengut: Wenn das stark verbreitet ist, dann kommen auch keine Feindschaften auf“, sagt Rissom. Dies gelinge allerdings erst, wenn man in Kontakt tritt und in den Austausch kommt. Das sei im Sport besonders einfach möglich. Dessen Umfeld biete einen Anlass, um Gedanken und Perspektiven auszutauschen.
Beitrag für ein vereintes Europa
Einer von vielen Schritten, Europa zu vereinen, ist sicherlich, dieses nicht ausschließlich als politisches und wirtschaftliches Konstrukt zu sehen, sondern als eine Art Werte- und Sozialgemeinschaft, erklärt Rissom. Dabei sei es vor allem wichtig, mit anderen Ländern und Kulturen in Kontakt zu treten, statt über Vorurteile oder Ähnliches nachzudenken. „Wenn man sich austauscht, Freunde in anderen Ländern hat, dann merkt man: Das sind auch nur Menschen, die sich ähnliche Gedanken machen, aber eine andere Einstellung dazu haben“, meint Rissom. Entscheidend sei, ein gemeinsames, interkulturelles Verständnis füreinander zu entwickeln, um ein gemeinschaftliches, harmonisches Zusammenleben zu ermöglichen. Elementar hierbei ist, dem ist sich Rissom sicher, Kontakte mit anderen Ländern zu pflegen und weiter auszubauen: „Gleichwohl ist es wichtig, immer in Kontakt zu bleiben. Wenn man sagen würde, jetzt können wir den Kontakt herunterfahren, es ist selbstverständlich, dass wir uns gut verstehen, wird man schnell merken, dass es nie selbstverständlich ist. Wenn man sich rechtspopulistische Tendenzen in Deutschland, Frankreich, aber auch anderen Länder anschaut, wird einem schnell bewusst, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, in Frieden miteinander zu leben“. Um dem entgegenzuwirken, engagiert sich die DSJ dafür, möglichst viele deutsch-französische Sportbegegnungen zu fördern. Rissom erklärt, dass diese zwar nur einen kleinen Beitrag auf europäischer Ebene leisten, auf dieser Ebene allerdings angefangen werden muss, um ein wichtiges Grundgerüst aufzubauen. Deutsch-französische Sportbegegnungen könnten in der Summe einen Beitrag für ein vereintes Europa leisten, wenn diese fortgeführt werden und man dadurch ein allgemeines Verständnis für andere Kulturen entwickelt.
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